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„Digitale Währungen werden ganz sicher von privaten wie staatlichen Akteuren geprägt sein“

Veröffentlicht am 23.10.2019

Weltweit arbeiten Staaten – und Privatunternehmen wie Facebook – an der Entwicklung eigener Digitalwährungen. Was bedeutet diese Entwicklung für Verbraucher? Wie und womit bezahlen wir zukünftig? Ein Gespräch mit dem Fachbuchautor und mehrfach ausgezeichneten Forscher Dr. Ingo Fiedler von der Universität Hamburg und Mitbegründer des gemeinnützigen Blockchain Research Lab.

Experteninterview mit
Dr. Ingo Fiedler
Dr. Ingo Fiedler
Universität Hamburg und Blockchain Research Lab

Die Internetwährung Bitcoin befindet sich nun bereits im 11. Jahr. Am 31. Oktober 2008 erschien das Bitcoin-Whitepaper erstmals im Internet. Wir wollen beleuchten, welche aktuellen Entwicklungen es in Sachen Digitalwährungen gibt. Und die Frage zu stellen: Werden wir Bargeld zukünftig noch brauchen?

Herr Dr. Fiedler, die meisten Menschen sind es gewohnt, mit Papiergeld bar zu bezahlen oder ihre Giro- oder Kreditkarte für Zahlungen einzusetzen. Jetzt arbeiten Staaten daran, nationale Digitalwährungen zu entwickeln. Wie würden sie funktionieren?

Dr. Ingo Fiedler: Länder wie China, Schweden, Norwegen und auch afrikanische Zentralbanken arbeiten aktuell an Ideen für Digitalwährungen. Selbst die Deutsche Bundesbank hat 2016 an einer Projektidee für einen Zentralbank-Euro auf Blockchain-Basis getüftelt und herausgefunden, dass es technisch funktionieren würde. Allerdings war eine solche Idee politisch nicht gewollt und wurde wieder eingestampft. Digitalwährungen könnten unterschiedliche Funktionen haben: Man könnte mit ihnen das Bargeld ersetzen oder sie parallel zu Bar- und Giralgeld etablieren. Denkbar wäre auch, die Vorteile der Programmierbarkeit zu nutzen, um Automatisierungen zu ermöglichen.

China soll mit seiner Digitalwährung fast fertig sein. Halten Sie die zeitnahe Einführung solcher Währungen für realistisch?

I. F.: Ich halte das für absolut realistisch. Es stehen ja keine großen technischen Hürden im Weg. Tatsächlich geht es eher darum, wie man ein solches Projekt letztlich umsetzen möchte. Diesbezüglich halten sich die Chinesen sehr bedeckt. Wahrscheinlich geht es ihnen darum, das Bargeld mit seiner Anonymisierungsfunktion bei Bezahlvorgängen nach und nach durch Digitalgeld zu ersetzen – dessen Transaktionen für den Staat eben nicht mehr anonym sind. Damit würde das Land einen weiteren Schritt in Richtung „gläserner Bürger“ gehen.

Andere Länder haben sicher andere Motive für die Einführung einer Digitalwährung. In Schweden etwa ist Bargeld schon heute kaum noch vorhanden – aber der Datenschutz dort auch kein großes Thema. In Schweden kann sich ja jeder erkundigen, wie viel Steuern bestimmte Bürger zahlen müssen. Das wäre in Deutschland undenkbar. Vielleicht vertraut man in Schweden ja der Zentralbank, dass sie ein anonymes Zahlungsmittel auf digitaler Ebene schafft, bei dem die Transaktionen auch für die Zentralbank nicht einsehbar sind. Man kann also sicher sein, dass an gänzlich unterschiedlichen und nicht vergleichbaren Entwürfen gearbeitet wird.

Eine echte digitale Weltwährung ist aus meiner Sicht sehr unrealistisch.

Dr. Ingo Fiedler, Uni Hamburg und Blockchain Research Lab

Was wäre der Vorteil einer echten digitalen Weltwährung, einer übernationalen, multipolaren Währung, die unabhängig von einem Staat funktioniert, so wie beispielsweise Mark Carney, der Gouverneur der Zentralbank von England, sie vorgeschlagen hat?

I. F.: Die ist aus meiner Sicht sehr unrealistisch. Es gibt ja das Währungsmonopol des Staats, um die umlaufende Geldmenge zu kontrollieren. Und diese Steuerung brauchen wir zwingend, um sinnvoll in Konjunkturzyklen eingreifen zu können. Wir sehen schon an der Währungsunion in Europa, dass es ganz große Probleme gibt, wenn die nationalen Wirtschaften sich in unterschiedlichen Geschwindigkeiten entwickeln. Die USA zum Beispiel haben das durch sehr, sehr hohe Transferzahlungen zwischen den Bundesstaaten gelöst. Deshalb sehe ich derzeit nicht, dass es eine real existierende Weltwährung geben wird, die vom Verbraucher tagtäglich benutzt wird – auch nicht bei Libra.

Apropos Libra – so heißt die Digitalwährung, die Facebook derzeit gemeinsam mit anderen Unternehmen vorantreibt. Sie soll in Privathand betrieben werden. Was würde das für Verbraucher bedeuten – und für die Rolle und Macht der Staatsbanken?

I. F.: Ich gehe davon aus, dass Staaten ambitionierte Vorhaben mit dem Ziel einer Weltwährung, wie zum Beispiel Libra, untersagen werden. Denn ich kann mir kaum vorstellen, dass die EU oder auch die USA private Anbieter als potenziell „gefährliche“ Mitspieler auf dem Währungsmarkt dulden möchten. Wenn, dann werden sie solche Ideen sicher nur in stark abgeschwächter Form erlauben. Es könnte aber durchaus sein, dass der Markt diese Frage regelt. Wenn sich beispielsweise diese Währungen in anderen Ländern durchsetzen, die dringend eine stabile Währung brauchen. Diese Digitalwährungen könnten dadurch so viel Macht entwickeln und Fakten schaffen, dass auch die EU und die USA sie zulassen müssten.

Noch braucht unsere Gesellschaft keine Kryptowährung, aber vermutlich bald. Diesen Zug kann man nicht aufhalten. Und deshalb sollten wir nicht riskieren, dass Teile der Gesellschaft, die so etwas gerne hätten, auf Lösungen ausweichen, die schlechter sind als eine eigene von der Zentralbank herausgegebene Währung auf Blockchain-Basis. Die Zentralbanken sollten davor nicht einfach die Augen verschließen, sondern erkennen, dass es eine Nachfrage nach solchen Währungen gibt. Und deshalb besser selbst eine Digitalwährung schaffen, die sie kontrollieren können. Möglicherweise gibt es dann am Ende ein paar Risiken, die man eingehen muss – aber auch Potenziale, die deutlich größer und gesamtgesellschaftlich sinnvoll sind.

Was wäre denn gesamtgesellschaftlich sinnvoll?

I. F.: Um die Frage zu beantworten, bedarf es einiger Forschungsarbeit, die noch nicht begonnen wurde. Die meisten Forscher im Blockchain- und Kryptowährung-Umfeld sind an Profit interessiert. Die machen sich keine Gedanken über gesamtgesellschaftlich, sondern betriebswirtschaftlich sinnvolle Anwendungsmöglichkeiten. Es fehlt aktuell noch massiv an sozioökonomischer Grundlagenforschung.

Wahrscheinlich wäre gesamtgesellschaftlich eine Blockchain-basierte Währung sinnvoll, die eins zu eins in Bargeld und in Giralgeld, also gebuchtes Geld, getauscht werden kann und für die jeder Bürger ein Konto bei der Zentralbank hat. Allerdings müsste dieses Konto in der Höhe begrenzt werden, damit nicht alle Gelder bei den Banken abgezogen und der Zentralbank gegeben werden. Diese Währung sollte nur für den Zahlungsverkehr und für das tägliche Leben dienen und nicht für Vermögensanlagen. Damit würde man schon mal das Risiko von Bilanzproblemen bei den Banken lösen. 

Zugleich könnte man eine kostenlos nutzbare Zahlungsinfrastruktur staatlicherseits bereitstellen. Das wäre ein riesiges Konjunkturprogramm. Denn aufgrund der Betrugsrisiken sowie Compliance- und Geldwäschevorschriften ist es so, dass Händler bei Kreditkartenzahlungen etwa 2,5 Prozent der transferierten Summe als Gebühr zahlen. Dieser Satz wird natürlich auf die Produkte aufgeschlagen. Wenn man eine kostenlose Zahlungsoption hätte, die durch die Blockchain-Technologie transparent nachvollziehbar den Compliance- und Geldwäschevorgaben entspricht, dann hätten wir um 2,5 Prozent geringere Preise – und viel weniger Sand im Getriebe unserer Wirtschaft.

Man müsste sich dann noch kluge Gedanken machen, wie man die Privatsphäre vor einem potenziell schädlichen staatlichen Eingriff schützen kann und man gleichzeitig kein Eldorado für Kriminelle schafft.

Noch mal zurück zu Libra: Laut Facebook-Plänen soll Libra in Dienste wie WhatsApp eingebunden werden, damit die Nutzer damit auf der Plattform bezahlen. Kommen wir künftig aufgrund der Marktmacht mancher Privatunternehmen an solchen Bezahlvarianten möglicherweise gar nicht mehr vorbei?

I. F.: Natürlich gibt es das Interesse von privater Seite, das Währungsmonopol des Staats aufzubrechen. Der Grund: Wer das Geld kontrolliert, ist nicht nur sehr mächtig, sondern kann daraus auch enormen Profit schlagen. Nutzer sollten sich deshalb schon fragen, warum Unternehmen ein solches System aufbauen wollen, ob sie damit möglicherweise sogar mächtiger werden als ein Staat und ob es am Ende eventuell Leidtragende geben könnte.

"Heute braucht man mehrere Währungen, wenn man in verschiedene Länder reist – künftig braucht man vielleicht unterschiedliche Währungen, wenn man auf unterschiedlichen Plattformen bezahlen will."

Dr. Ingo Fiedler
Dr. Ingo Fiedler, Universität Hamburg und Blockchain Research Lab

Meiner Ansicht nach wird es künftig weitere solche Ambitionen bei Online-Unternehmen geben. Wer weiß, vielleicht gibt es ja auch bald einen Amazon-Coin und es darf nur damit auf der Amazon-Plattform bezahlt werden? Heute braucht man mehrere Währungen, wenn man in verschiedene Länder reist – künftig braucht man vielleicht unterschiedliche Währungen, wenn man auf unterschiedlichen Plattformen bezahlen will. Wir könnten dadurch eine Verschiebung des Territorialprinzips erleben. Diese Entwicklung hat bereits begonnen. Digitale Währungen werden ganz sicher von privaten wie staatlichen Akteuren geprägt sein.

Wie sieht denn – bildlich gesprochen – das digitale Portemonnaie der Zukunft aus?

I. F.: Das ist ein ungeahnt umfangreicher Fächer aus unterschiedlichsten Währungen mit diversen Nutzungsformen. Jede Währung, die etabliert werden soll, muss zwingend verbraucherfreundlich sein. Das ist eine notwendige Bedingung, damit sie überhaupt eine Chance hat, sich durchzusetzen. Ich meine damit vor allem, dass sie leicht verständlich und leicht nutzbar sein muss – vielleicht sogar noch viel einfacher als eine staatliche Währung. Ich kann mir gut vorstellen, dass es dann einen Anbieter geben wird, der das Bezahlen bequem macht. Der Konsument kauft ein und überlässt den Bezahlprozess diesem Dienstanbieter, der die Zahlung im Hintergrund je nach Plattform mit der entsprechenden Währung abwickelt. Der Verbraucher muss sich darum dann gar nicht mehr kümmern. Ein solcher Anbieter müsste in den einzelnen Ländern lizenziert werden, was nicht sonderlich einfach ist, und deswegen kann es sich dabei nur um einen großen Financial Player handeln.

"Ich glaube, dass es extrem wichtig ist, dass es eine Zahlungsoption gibt, die zu einem hohen Grad anonym ist."

Dr. Ingo Fiedler, Universität Hamburg und Blockchain Research Lab

Wie wichtig und wahrscheinlich ist es aus Ihrer Perspektive, dass es weiterhin Bargeld gibt?

I. F.: Ich glaube, es ist extrem wichtig, dass es eine Zahlungsoption gibt, die zu einem hohen Grad anonym ist. Die Anonymität ist ein Faktor, um beispielsweise Minderheiten Schutz zu bieten. Denn wenn es nur noch eine völlig gläserne Digitalwährung gibt, kann das zur Überwachung genutzt werden und auch zur Sicherstellung, dass niemand etwas tut, das vom Staat nicht gewollt ist. Und ob das, was der Staat will, überall und immer eins zu eins das ist, was die Gesellschaft will, sei dahingestellt. Die politische Komponente bei diesem Thema ist gefährlich. Bargeld bietet Anonymität und solange es dazu noch keine echte Alternative gibt, ist Bargeld aus meiner Sicht unverzichtbar.

Vielen Dank, Herr Dr. Fiedler, für das Gespräch.

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