Frau mit Akten am Schrank im Büro

Die Verwaltung muss sich komplett neu erfinden

Veröffentlicht am 23.09.2019

Dass die öffentliche Verwaltung in Deutschland deutlich digitaler werden muss, ist spätestens seit dem Inkrafttreten des Onlinezugangsgesetzes (OZG) klar. Doch wie verändern sich durch die Digitalisierung vieler staatlicher Leistungen – etwa der Beantragung von Kindergeld und Co. – die Berufsprofile von Verwaltungsmitarbeitenden? Welche neuen Kompetenzen sind gefragt und wo müssen Weiterbildungsmaßnahmen schon jetzt ansetzen?

Experteninterview mit
Piktogramm Experte
Prof. Dr. Thomas Meuche
Leiter des berufsbegleitenden Studiengangs „Digitale Verwaltung“ an der Hochschule Hof

Auf jeder Ebene in der Verwaltung werden grundlegende IT-Kenntnisse nötig sein

Im Interview erklärt Meuche, warum Digital Natives allein den Wandel nicht stemmen können und warum die Verwaltungsmitarbeitenden der Zukunft vor allem soziale Kompetenzen mitbringen muss.

Prof. Dr. Thomas Meuche

Prof. Dr. Thomas Meuche ist Leiter des berufsbegleitenden Studiengangs „Digitale Verwaltung“ an der Hochschule Hof. Das Bachelorstudium richtet sich vor allem an Verwaltungsmitarbeitenden, die bereits eine klassische Ausbildung durchlaufen haben und nun die zunehmende Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung voranbringen sollen.

Herr Meuche, es wird viel über die Digitalisierung der Verwaltung diskutiert. In den Ämtern und Behörden scheint davon bisher aber nur wenig anzukommen. Woran hakt es?

Aus meiner Sicht greift das ganze Thema Digitalisierung der Verwaltung viel zu kurz. Es besteht der Irrglaube, es ginge nur darum, nicht digitale Prozesse zukünftig digital ablaufen zu lassen. Dem ist mitnichten so. Die zentrale Frage, die sich die öffentliche Verwaltung stellen muss, ist: Welche Ziele verfolgen wir eigentlich? Und davon abgeleitet: Wofür sind wir in Zukunft da? Und welche Rolle spielen dabei neue Technologien? Momentan denkt man in Behörden und Ämtern darüber nach, mal eine Datenbank einzusetzen oder einen Workflow zu verändern. Tatsächlich brauchen wir jedoch ein komplettes Infragestellen der aktuellen Geschäftsprozesse. Und: Die Verwaltung muss nicht nur ihr Rollenverständnis und ihre Prozesse neu erfinden, sondern auch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf diesem Weg mitnehmen.

Welche Technologien werden Ihrer Ansicht nach die größten Veränderungen herbeiführen?

Das wird beispielsweise die Blockchain sein. Die Technologie kann dazu führen, dass Dinge wie das Bearbeiten von Anträgen, für die wir heute sehr viel Man- und Womanpower brauchen, gar nicht mehr relevant sind. Ganz einfach, weil sie automatisiert werden. Selbiges gilt für die künstliche Intelligenz.

Welche Aufgaben bleiben denn, wenn zukünftig viele Verwaltungsleistungen automatisiert werden?

Ganz klar: sich um die Menschen zu kümmern – was in der Vergangenheit vernachlässigt wurde. Ein Beispiel aus meinem aktuellen Studiengang: Zwei meiner Studierenden treiben als Mitarbeitende des Jugendamts das Geld von Vätern ein, die ihrer Unterhaltspflicht nicht nachkommen. Die beiden haben sich die Frage gestellt: Was ist eigentlich das Ziel unserer Organisation? Die Erkenntnis war beeindruckend: Sie stellten fest, dass sie mit der gesamten Kraft des Gesetzes genau das Gegenteil von dem erreichen, was sie eigentlich wollen. Denn mit ihrer Arbeit treiben sie einen Keil zwischen Kind und Vater, bis das Verhältnis endgültig zerstört ist. Der Grund: Viele betroffene Väter projizieren ihren Hass auf den Verwaltungsapparat – den Geldeintreiber – auch auf ihr Kind.

Eigentlich, so die Studierenden, müssten sie daher ganz anders vorgehen: Sie müssten sich darum kümmern, dass diese Kinder und Väter zusammenkommen und ein Verhältnis aufbauen. Wer ein positives Erlebnis mit seinem Kind hat, ist eher gewillt, im Rahmen seiner Möglichkeiten Unterhalt zu zahlen. Und die wenigen Fälle, in denen tatsächlich nicht gezahlt werden will, könnten wir durch die angesprochenen Technologien automatisiert abwickeln. Dieses Beispiel bringt es auf den Punkt: Die Verwaltungsmitarbeitenden der Zukunft brauchen andere Fähigkeiten. Sie müssen wissen, wie sie digitale Lösungen einsetzen, und brauchen das kommunikative Rüstzeug, um derartige Prozesse überhaupt anzustoßen.

Das heißt, der Fokus rückt komplett auf soziale Fähigkeiten? Oder muss der zukünftige Verwaltungsmitarbeitende auch fundiertere IT-Kenntnisse mitbringen?

Auf jeder Ebene werden grundlegende IT-Kenntnisse nötig sein. Die Mitarbeitenden werden wissen müssen, welche technischen Systeme es gibt und was diese können. In unserem Studiengang „Digitale Verwaltung“ gibt es ungefähr 15 IT-Module: etwa Blockchain, KI oder IT-Sicherheit. Es ist aber explizit kein Ziel, dass die Teilnehmer das Programmieren lernen. Sie sollen vielmehr verstehen: Was kann KI? Welche Risiken gibt es? Und wie ist das bei der Blockchain oder der Cloud? 

Wie motiviert man Behördenmitarbeitende dazu, sich weiterzubilden und entsprechende Fähigkeiten zu erlernen?

Wir sprechen hier von einem absoluten Führungsthema. Man könnte beispielsweise Beförderungen von einer entsprechenden Qualifikation abhängig machen. Wir brauchen Führungskräfte, die sagen: Ich will diese Organisation an ein bestimmtes Ziel bringen und ich erwarte von meinen Mitarbeitern, dass sie sich weiterbilden. Und nur auf die Digital Natives zu setzen, reicht nicht, weil gar nicht genug junge Talente zur Verfügung stehen und deshalb die vorhandenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Wandel mitwirken müssen.

Wird es auch gänzlich neue Berufsprofile geben?

Ja. Ich bin beispielsweise überzeugt, dass es eine Art agilen Projektmanager geben muss: der auch mal ausprobieren darf und nicht nur in einer bestimmten Zeit auf ein klar festgelegtes Ziel hinarbeitet. Das ist zugegebenermaßen unter den heutigen Voraussetzungen schwer, denn Ämter und Behörden unterliegen der Kontrolle der Rechnungshöfe. So traut sich kaum jemand, auch mal Fehler zu machen.

Welcher ist Ihrer Ansicht nach der wichtigste Schritt, den die Verwaltung für eine erfolgreiche Digitalisierung gehen muss?

Die Verwaltung muss sich als Dienstleister für den Bürger verstehen. Das Bürokratiemodell nach Max Weber hat ausgedient. Diese Anpassung gelingt aber nicht allein durch den Einsatz von IT-Lösungen, sondern nur durch einen Kulturwandel und eine Änderung im Selbstverständnis vieler öffentlicher Institutionen. Und da reicht weder E-Government-Gesetz noch Onlinezugangsgesetz. Wir brauchen eine neue Kultur, ein ganz anderes Denken in der Verwaltung!

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